Das Tier als Familienmitglied: Ethische Fragen am Lebensende von Hund und Katze
Wie viel Leid ist vertretbar, wenn ein Haustier schwer erkrankt ist? Wann ist der Zeitpunkt, es gehen zu lassen? Was gebietet das Tierschutzgesetz? Die ethische Gratwanderung zwischen emotionaler Bindung und Fürsorge, Verantwortung und Loslassen am Lebensende eines Tieres wird im Themenschwerpunkt Hund/Katze auf dem 13. Leipziger Tierärztekongress (15. bis 17. Januar 2026) diskutiert. Dabei ebenfalls im Fokus: die Rolle von Palliativ- und Hospizangeboten in der Veterinärmedizin.
Werden Haustiere alt oder unheilbar krank, stehen Veterinärmediziner ebenso wie Tierhalter vor schwierigen Entscheidungen. „Viele Besitzer sehen das Tier als Familienmitglied oder sogar -ersatz und wollen es selbst bei schweren Krankheiten unbedingt am Leben halten. Manche wünschen sich, dass es zu Hause spontan verstirbt“, berichtet Prof. Dr. Michaele Alef. Die Leiterin des Bereichs Anästhesie und Operative Intensivmedizin der Klinik für Kleintiere an der Veterinärmedizinischen Fakultät der Universität Leipzig und Diplomate ECVAA (European College of Veterinary Anaesthesia and Analgesia) verantwortet das Programm des Schwerpunkts Hund/Katze, der in diesem Jahr unter dem Motto steht: „Schwierigkeiten, Komplikationen und Probleme sind keine Hindernisse. Es sind Herausforderungen!“
Im Spannungsfeld zwischen Tierschutzgesetz und emotionaler Bindung
„Leider kann man ein Tier nicht fragen, ob es leidet“, sagt Professorin Alef. Besitzer interpretierten viele Beobachtungen so, dass ihr Hund oder ihre Katze „noch Spaß am Leben“ habe. „Das Tierschutzgesetz sieht aber ausdrücklich vor, dass ein Tier von ‚Leiden‘ erlöst werden muss – entweder durch adäquate Behandlung oder, wenn diese nicht möglich ist, durch Euthanasie“, betont sie. Natürlich falle es schwer, einen Gefährten nach vielen gemeinsamen Jahren gehen zu lassen. „Aber dieses Loslassen immer weiter hinauszuzögern – ist das wirklich immer im Sinne des Tieres?“ Palliativ- und Hospizangebote entwickelten sich zwar auch in der Tiermedizin, seien jedoch noch selten sowie aufwändig und teuer, etwa wegen der nötigen Hausbesuche, erklärt Prof. Alef. „Deshalb kann man davon ausgehen, dass bisher viele Tiere an ihrem Lebensende nicht adäquat behandelt werden.“
Ethische Überzeugungen reflektieren: Ein philosophischer Blickwinkel
Die ethischen Dimensionen menschlicher Entscheidungen am Lebensende eines Tieres beleuchtet PD Dr. habil. Werner Moskopp vom Institut für Philosophie der Universität Koblenz. Sein Vortrag „Lebensverlängerung für das Tier oder macht man das doch alles nur für den Menschen?“ findet am 15. Januar 2026 in der Session zur Onkologie statt. Denn in der Tiermedizin gehe es nicht nur um medizinisches Wissen, wie der Philosoph betont: „Moral und Recht bilden einen normativen Rahmen für die Veterinärmedizin.“ In den veterinärmedizinischen Studiengängen in Deutschland sei Ethik nicht nur Gegenstand vereinzelter Module, sondern Teil der personalen Ausbildung und einer fachlichen Zugehörigkeit.
Profession und Verantwortung in Grenzsituationen
„Veterinärmediziner üben nicht nur einen Beruf aus, sie verpflichten sich einer Profession“, führt Dr. Moskopp aus. „Mit dieser Verantwortung gehen – neben der fachlichen Expertise – ebenfalls eine Haltung und Lebensweise einher, die über die Praxisräume hinauswirken und moralische wie rechtliche Pflichten gegenüber dem Tier umfassen.“ In seinem Vortrag stelle er nicht nur die Frage nach der „richtigen Entscheidung“, sondern nach der Fähigkeit, moralische Komplexität zu reflektieren und ethisch abzuwägen: „Vor allem in Grenzsituationen, bei denen Unsicherheiten, Emotionen, monetäre Engpässe, Übertragungen oder Missverständnisse zu Konflikten zwischen den Präferenzen des Arztes, den angenommenen Präferenzen des Tieres und denen des Besitzers führen.“ Letzten Endes gehe es darum, „jedes Lebewesen bestmöglich aus den gemeinsamen Überlegungen hervorgehen zu lassen.“
In der Onkologie etwa erforderten immer bessere Diagnose-, Prognose- und Therapieverfahren für Tumoren angemessene ethische Standards, so Dr. Moskopp. „Der gerechte Einsatz der zur Verfügung stehenden Mittel gilt mithin als grundsätzliche Forderung, läuft aber gegen finanzielle Grenzen. Die von mir vertretene Ethik leistet eine Hilfestellung, solche komplexen moralischen Zusammenhänge unter Beachtung der gegebenen Ressourcen zu ordnen.“
Reflektieren und handeln
„Mir ist es wichtig, die Ethik als Wissenschaft wieder hoffähig zu machen und sie vom bloßen Moralisieren zu unterscheiden“, unterstreicht Dr. Moskopp. „Jeder muss sich selbst bemühen, die Reichweite seiner moralisch relevanten Überzeugungen zu reflektieren und entsprechend zu handeln.“